Eine Welt ohne Grenzen, völlig frei, ohne Zäune und hohe Häuser, Straßen und Menschenmassen, die die Sicht versperren und seine Worte nicht verstehen. Einfach frei sein, einfach fort gehen, laufen wohin die Pfoten ihn tragen, rennen, wenn es ihm danach beliebt. Etwas anderes wollte er doch gar nicht. Freiheit, das war alles, was er wollte. Zumindest jetzt, in diesem winzigen, künstlich ruhigen Moment, der sein gesamtes Wesen untergrub. Dieser Rüde war nicht ruhig, er war auch nicht still oder vorsichtig. Nein, er war wild, wenn es ihm danach war, er war stürmisch, preschte unerwartet los oder sprang aufgeregt umher ohne das es dafür einen ersichtlichen Grund gab. Ein Wirbelwind war er, eine lodernde Flamme voller Energie, die nur darauf wartete freigesetzt zu werden um allen anderen zu zeigen was in ihm steckte. Zerstörerisch war er dabei (meistens) nicht. Aber man konnte ihn auch nicht als vorsichtig bezeichnen. Der Wunsch aufzuspringen und los zu rennen machte sich in ihm breit, langsam begannen seine müden Glieder ihre Arbeit wieder aufzugreifen. Sein ganzer Körper zuckte, erbebte unter diesem starken Wunsch, diesem Drang die Freiheit zu spüren, die er sich in seinen Träumen schon so oft vorgestellt hatte. Gegen die Menschen hatte er allerdings nichts, nur gegen die Wände, die sie zogen, und die Regeln, die sie ihm auferlegten. Alles was er wollte war die Möglichkeit seinen eigenen Weg zu gehen. Sein Leben so zu leben wie er es wollte ohne das die Menschen über ihm standen und über ihn entschieden. Vielleicht würde er einmal das Glück haben bei einer Familie zu landen, die etwas mit seinem stürmischen Wesen anfangen konnte.

Plötzlich öffnete der Rüde seine Augen. Selbst für ihn war das fast schon unerwartet, immerhin hatte er das nicht geplant und es war für ihn als wäre er so hinein gestolpert in das 'Augenöffnen'. Verwirrt stellte er fest, dass er auf dem Boden lag, auf der linken Seite, aller Viere so weit wie möglich von sich gestreckt und noch immer leicht zuckend. Sein Verstand fühlte sich seltsam müde und weich an, als hätte man ihn mit Watte gefüllt und seine Gedanken gedämpft. Doch warum? Seinen wirren Sinnen Folge leistend versuchte er sich umzusehen, doch es gelang ihm nicht gegen diese Macht zu gewinnen, die seinen Körper müde und schläfrig gemacht hatte und ihm auch nun das Aufstehen versagte. Einen Augenblick blieb er so liegen, gegen diese unsichtbare Kraft ankämpfend, bis es ihm schließlich gelang die Beine an den Körper zu ziehen und sich langsam auf zu richten. Dem Border Collie war leicht schwindlig, er kniff die braunen Augen zu, öffnete sie langsam wieder, beobachtete die Welt beim Schwanken und stellte dabei verwundert fest, dass er sich nicht mehr in dieser lauten, lärmenden, grauen Stadt befand, die er so lange tagtäglich beobachtet hatte. Das hier war etwas ganz anderes. Die Luft war reiner, klarer, der Boden nicht bedeckt von Asphalt und kaltem Stein. Das war doch tatsächlich Gras und davon nicht einmal wenig. Es schien gar kein Ende zu nehmen und überall zwischen diesen Milliarden von Grashalmen spielte der Wind mit sich selbst, schob sie umher und stöberte kleine Partikel auf, die er in die Luft wirbelte um sie schließlich wieder fallen zu lassen.
Ein dumpfes Pochen hallte in Kians Hinterkopf vor sich hin, doch dies konnte den taumelnden Rüden nicht davon abhalten sich zu erheben und einige wacklige Schritte hinaus in diese wundervolle Welt zu machen. Erst nachdem es ihm gelungen war diese kalte Kiste, in der er sich wiedergefunden hatte, zu verlassen, konnte er die gesamte Weite dieser neuen Welt erkennen, die ihn umgab. Da waren Bäume, Gras, verschiedene andere Pflanzen und hier und da sogar andere Tiere, jedenfalls glaubte er diese zu sehen oder zu hören. Sein Kopf drehte sich von einer Seite zur anderen, alles mit Augen und Ohren erfassend. Wo war er hier nur gelandet? Was hatte er getan um das hier geschenkt zu bekommen?
Mit einer einzigen schnellen Bewegung schüttelte er sein langes Fell, befreite dieses vom gröbsten Dreck der vergangenen Tage und streckte sich anschließend. Er atmete noch einmal tief durch, dann machte er sich auf den Weg hinein in diese wundersame Welt um plötzlich stehen zu bleiben und etwas zu bemerken. Sein Bruder fehlte. Hatte er ihn hier etwa alleine zurück gelassen? Einfach so? War dann abgehauen, ohne ihn zu wecken, ohne sich darum zu kümmern was aus ihm wurde? Und jetzt? Ja, jetzt war dieser langweilige, viel zu vorsichtige Rüde nicht mehr da. Trotzig hob Kian den Kopf, er wirkte fast wie ein Welpe und ein wenig beleidigt, vielleicht auch verletzt? ... ob er ihn wohl noch einmal treffen würde? Ach was, so etwas durfte er nicht denken! Wenn dieser Eogist ohne ihn gegangen war, dann würde auch Kian ohne seinen Bruder klar kommen, ganz sicher! Nüchtern beendete er seine Gedanken und ging weiter Richtung Wald. Seinen Bruder brauchte er schließlich nicht unbedingt... er könnte auch ohne diesen Abenteuer erleben.... ja, sicher konnte er das. Außerdem stritten sie sich ohnehin die meiste Zeit über - was natürlich nicht seine Schuld war, wie Kian meinte. Ein großer Verlust war das also nicht... Die alte Spaßbremse brauchte er nicht... in einer so tollen Welt.. wie dieser hier.

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